Freitag, 1. April 2011

Abenteuer Postagentur - Nur die Ruhigen überleben

Sie sprießen aus dem Boden wie räudige Hunde - Postagenturen. Seit Jahren schließt die Deutsche Post AG immer mehr ihrer liebgewonnenen, eigenen Filialen und setzt auf mutige Dritte, die in ihren Tankstellen oder Supermarktkiosken die Dienstleistungen des gelben Riesen an schwitzende Kunden verkaufen wollen. Für den Kunden bedeutet das eigentlich nur Vorteile. Er kann nach dem Großeinkauf beim Edeka schnell noch ein paar Dosen Hundefutter an die Geburtstag habende Oma verschicken, ohne einen Umweg in Kauf nehmen zu müssen. Oder sich schnell vom Postbank-Konto das benötigte Kleingeld für die teuren Kippen besorgen, die er dann nur einen Tresen weiter unter gierigem Gesabber bei derselben Verkäuferin bezahlen kann. Kurze Wege, voller Service - so weit die Theorie.

In der Praxis entpuppt sich das "Ich geh mal eben kurz noch zur Post"-Vorhaben jedoch meistens als nicht enden wollender Alptraum. Hat man gerade noch die Wartezeit an der Kasse des Supermarktes durch Verzehr seines halben Einkaufs knapp überlebt ohne den kleingeldsuchenden Rentnern die Fresse poliert oder der schmierigen, bei jedem dritten Artikel aus Wissenslücken die Kollegin um Rat suchenden Kassenkraft die für 15 Cent erworbene Plastiktüte bis zum Exitus über den Kopf gestülpt zu haben, wartet die eigentliche Zerreißprobe erst in der Schlange vor dem Schalter der Postagentur.

Denn, so muss man leidend feststellen, man ist mal wieder nicht der einzige, der eine Paketbenachrichtigungskarte im Briefkasten vorgefunden hat, obwohl man am Vortag die ganze Zeit zu Hause war. So findet man sich unvermittelt in einer müffelnden Schlange voller angewiderter Studenten, nach Knoblauch stinkender Türken und bis zur Unkenntlichkeit zerschminkter Möchtergern-Business-Ladys wieder. Die erste Einschätzung, dass ja nur fünf Personen vor einem sind und es deswegen schon nicht so lange dauern wird, muss man bereits nach fünf Minuten korrigieren, wenn man sieht, dass man noch keinen Zentimeter vorangekommen ist. Grund: natürlich wird von den zwei verfügbaren Schaltern nur einer benutzt, der zweite wird aus nachvollziehbaren Gründen seit jeher als Ablagefläche für sich stapelnde Pakete missbraucht - und Personal wäre ohnehin nicht vorhanden. Die einzige Hoffnung der Wartenden besteht in der kleinen, verlebten Frau, die zwischen Postschalter und Kioskkasse hin- und hertrabt, garniert mit einem Gesicht, das mehr Bände spricht als eine Bertelsmann-Enzyklopädie beinhaltet. Nennen wir sie Uschi.

Was bleibt einem nun übrig, außer den Blick in das Zeitschriftenregal schwenken zu lassen, neben dem man gerade ansteht. Pferdemagazine, so weit das Auge blickt. Währenddessen dringen Wortfetzen vom Schalter zum hinteren Teil der Schlange. Natürlich habe er noch Geld auf dem Konto, wie denn das sein könnte, da muss ein Irrtum vorliegen und sowieso könne das alles gar nicht wahr sein, beteuert der rüstige Rentner voller Inbrunst. Es nützt ihm wenig, nach zehn Minuten gibt er schließlich abgekämpft auf und verlässt stampfend, fluchend und mit hochrotem Kopf den Laden. Hoffnung keimt auf in der Schlange der Geächteten. Doch diese währt nur kurz. Schließlich ist jetzt erst einmal wieder die Konkurrenz an der Reihe. Lottospieler. Jenes verdummte Pack, das jede Woche aufs Neue versucht, dem trostlosen Leben durch sieben Kreuzchen zu entfliehen und dabei nicht merkt, dass mit dem über Jahre verspielten Geld längst ein anständiger Urlaub in einem billigen Touristenstaat drin gewesen wäre.

Dann, plötzlich und unerwartet, ein neuer Hoffnungsschimmer. Der Türke gibt auf. Nach dem geschätzt fünfzigsten Blick auf die goldgefärbte Plastikuhr schert er zur Freude aller mit einem Kopfschütteln aus der Warteschlange aus. Das erste Opfer der Folterstube ist gefunden. In den Augen der Hinterbliebenen lässt sich nach diesem Geschehnis wieder ein Funken Motivation erkennen, der nach wenigen Sekunden direkt wieder erlischt, als die nun zum Schalter vorgedrungene, ihren Lebensabend bald erreicht zu haben scheinende alte Frau ihr Anliegen vorbringt. Sie wolle ihrem Enkelsohn eine Freude machen, habe aber weder ein Geschenk noch Ahnung von den verschiedenen Versandmöglichkeiten sowie den daraus resultierenden Kosten. Im Geiste muss man sich davon abhalten, der Oma nicht augenblicklich einen der herumliegenden Kugelschreiber von hinten durch die Schädeldecke zu rammen. Nur der mahnende Blick des "Wendy"-Titelbildes verhindert eine Katastrophe.

Das Problem löst sich dann schneller als erwartet, als Uschi der alten Frau ungewohnt barsch entgegnet, dass sie sich solche Sachen zu Hause überlegen müsse, schließlich sei man hier kein Geschenkberater. Als sie der verdatterten Rentnerin schließlich mit einer abweisenden Geste eine Preistabelle in die Hand drückt und sie auf die hinter ihr wartenden Personen aufmerksam macht, möchte man fast so laut applaudieren wie ein peinlicher deutscher Tourist bei der Routinelandung eines Urlaubsfliegers.

Nur noch die aufgetakelte Bürotussi zwischen dem Schalter der Begierde und dem eigenen, leidenden Körper - und erst achtzehn Minuten seit Beginn des Tortur vergangen. Das Leben ist schön! Gerne sieht man im Angesicht der Euphorie darüber hinweg, dass Uschi zunächst wieder den Schalterplatz gegen die Kioskkasse eintauscht und mit einem Verkauf der "BILD" die politische Meinungsbildung des Landes ankurbelt. Und dass sie beim nächsten Kunden über eine Minute braucht, um den richtigen Tabak zu finden - geschenkt!
Schließlich macht sie auch nur ihre Arbeit - wenn auch in der Geschwindigkeit einer Schildkröte mit Gipsfuß und der Motivation eines DFB-Nationalspielers in einem Testspiel. Und dass gerade jetzt auch noch die Papierrolle der Kasse leer ist, dies offensichtlich ein unvorhersehbareres Ereignis als eine Kernschmelze ist und weitere drei Minuten des eigenen Lebens kostet, all dies ist Nebensächlich. Denn gleich ist es geschafft.

Die Business-Schnepfe wird in Rekordtempo abgefertigt. Lediglich zwei Stornobuchungen, fünf Rückfragen und zwei Korrekturen auf dem Paketschein sind nötig, um ihre Sendung per Fußtritt in den Abfertigungscontainer zu befördern. Zitternd und ungläubig vor Glück sieht man sich nun dem freien Schalter ausgesetzt. Es ist soweit! Endsieg! Mit einer Glücksträne im linken Auge und euphorischem Grinsen knallt man Uschi seine Postbenachrichtigungskarte auf den Tresen, ringt sich sogar noch zu einem gespielt-freundlichen "Hallo" durch, das selbstverständlich nicht erwidert wird. Mürrisch macht sich Uschi dann auf zur großen Suche. Die Ablage der eingegangenen Pakete erfolgt offenichtlich nach dem langjährig erprobten Chaos-System, was dazu führt, dass jedes dritte Paket von ihr umgedreht und begutachtet werden muss. Nach Minuten dann der Satz, der einen innerlich sterben, verfaulen und versteinern zugleich lässt: "Hab ich nich hier, müssen ´se morgen nochma wiederkommen.."

Erst gut eine Woche später, nachdem man im Krankenhaus aus dem Koma erwacht, folgt dann das klassische Happy End. "Sie brauchen sich keine Sorgen mehr zu machen, Ihre Sendung wurde sieben Tage gelagert und mittlerweile an den Empfänger zurückgeschickt...."

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